Iran zwischen Repression und Hoffnung: Zivilgesellschaft kämpft für Gerechtigkeit

Von Daniela Sepehri

VIDC Online Magazin Spotlight

Dieser Artikel wurde in der Spotlight-Ausgabe September 2025 veröffentlicht. Wenn Sie den vierteljährlich erscheinenden Spotlight, Einladungen und Dokumentationen erhalten möchten, klicken Sie bitte hier.

Autorin*

Daniela Sepehri ist freie Social Media Beraterin, Autorin und Journalistin mit den Schwerpunkten Iran, Migration, Antirassismus und Feminismus. Sie hat Geschichte, Publizistik und Kommunikationswissenschaften studiert, ist Autorin des Werks „Im Namen des Stiftes“, das im Februar 2025 im Lektora Verlag erschienen ist, und schreibt u.a. für taz, nd und SPIEGEL.

Frauen in Qarchak Gefängnis, © Student News Network Iran / Tahmineh Rahmani

(28. August 2025) “Wir kämpfen, wir sterben, aber wir werden Iran zurückerobern”, rufen Demonstrierende vor dem Büro des Gouverneurs in der iranischen Stadt Shiraz im Südwesten des Landes. Sie singen “Freiheit, Freiheit, Freiheit”. Hier, aber auch in zahlreichen weiteren Städten, protestieren die Menschen wegen der Wasser- und Stromausfälle und der Tatenlosigkeit des Regimes. Die Parolen richten sich jedoch schnell gegen die Führung und das gesamte System der Islamischen Republik, das für das Elend verantwortlich gemacht wird.

Trotz Krieg, massiver Repressionen und einem Klima der Angst lassen die Proteste der Zivilgesellschaft nicht nach. Die Ermordung der Kurdin Jina Mahsa Amini durch die sogenannte Sittenpolizei im September 2022 hat die ganze Gesellschaft nachhaltig verändert. Ihr Tod steht nicht nur für die Entrechtung von Frauen, sondern auch für die jahrzehntelange Unterdrückung von Kurd*innen und anderen ethnischen Minderheiten. Gerade sie sind seit Beginn der Proteste besonders stark von Repression betroffen – weil das Regime genau weiß, welche Kraft von ihnen ausgehen kann. Immer wieder kam es in Kurdistan zu Generalstreiks, etwa nach Hinrichtungen politischer Gefangener. Solche Streiks sind weit mehr als ökonomischer Druck: Sie sind Akte kollektiven Widerstands, die zeigen, dass sich ganze Regionen der Logik des Regimes entziehen können.

Minderheiten als Sündenböcke

Das Regime hat sich eine bekannte Strategie zu eigen gemacht: In Zeiten der Krise ethnische Minderheiten zu Sündenböcken zu erklären. Kurd*innen, Belutsch*innen und Araber*innen trifft die Gewalt derzeit besonders hart, sie gelten als “Gefährder der nationalen Sicherheit“. Gleichzeitig geht die Führung auch verstärkt gegen Afghan*innen vor. Allein im Juni wurden fast eine halbe Million Menschen nach Afghanistan abgeschoben – darunter auch solche, die auf Aufnahmezusagen für Deutschland oder den Familiennachzug warteten. Dass Deutschland diesen Familiennachzug nun aussetzt, verschärft die Lage zusätzlich. 
Solche Deportationen erfüllen für das Regime mehrere Zwecke: Sie sollen auf der einen Seite Angst verbreiten. Auf der anderen Seite lässt das Regime seinen Frust an ihnen aus – der Krieg hat die Schwächen des Regimes deutlich gemacht, jetzt will es Stärke und Härte zeigen. 

Brutale Repression in den Gefängnissen

Besonders sichtbar wird die Gewalt in den Gefängnissen. Nach dem israelischen Angriff auf das berüchtigte Evin-Gefängnis, das von Expert*innen als völkerrechtswidrig eingestuft wird, wurden politische Gefangene verlegt: Männer in das Groß-Teheran-Gefängnis, Frauen in das berüchtigte Qarchak-Gefängnis. Dort herrschen katastrophale Zustände. Mehrfach haben die Gefangenen auf die Zustände in beiden Gefängnissen hingewiesen. In einem offenen Brief an Justizchef Gholamhossein Mohseni-Ejei schreiben inhaftierte Frauen aus dem Qarchak-Gefängnis:
“Wir, Frauen in Gefangenschaft, schreiben aus einer Ecke der Unterdrückung, wo uns nicht nur unsere Bürger*innenrechte, sondern unsere Menschlichkeit genommen wird. Ihr habt uns von Wasser, Strom und manchmal selbst von Nahrung abgeschnitten. Wir gelten nicht einmal mehr als Menschen – als wären wir gefährlicher als Bomben oder Raketen.“
Die systematische Misshandlung politischer Gefangener ist Teil der Abschreckungsstrategie. Doch sie birgt auch ein Risiko für das Regime: Immer wieder werden Briefe, Berichte oder Tonaufnahmen aus den Gefängnissen herausgeschmuggelt. Sie zeigen, dass selbst hinter Gittern die Forderung nach Freiheit nicht zum Schweigen gebracht werden kann.

Widerstand hinter Gittern

Seit Anfang 2024 treten Gefangene in mehr als 40 Haftanstalten jeden Dienstag in den Hungerstreik unter dem Motto “Dienstage Nein zur Todesstrafe“. Sie verbinden die Streiks mit politischen Botschaften, die durch das Land und die Diaspora zirkulieren. Dass selbst unter extremen Haftbedingungen kollektive Aktionen möglich sind, ist ein Symbol für den ungebrochenen Widerstandswillen.
Die Friedensnobelpreisträgerin Narges Mohammadi, die derzeit in medizinischem Hafturlaub ist, beschreibt das System als “autoritäre, unreformierbare und zutiefst korrupte Herrschaft“. Sie betont: “Es war das Volk, das diesem Regime die Legitimität entzogen hat, nicht der zwölf Tage währende Krieg. Die Menschen müssen an sich selbst glauben. Sie können die Zukunft bauen. Das ist Selbstvertrauen.“
Solche Worte haben Gewicht, nicht nur weil sie von Mohammadi stammen, sondern weil sie ausdrücken, was viele im Iran fühlen: Dass das Regime weiterhin auf Gewalt setzt, während ihm die Gesellschaft aber längst das Vertrauen entzogen hat.

Hoffnung auf Demokratisierung?

Angesichts der Brutalität stellt sich die Frage, ob es Chancen auf eine Demokratisierung gibt. Entscheidend ist dabei die Stärke der Zivilgesellschaft – und die ist trotz jahrzehntelanger Unterdrückung erstaunlich lebendig. Frauen, Studierende, Arbeiter*innen und ethnische Minderheiten sind seit Jahren die treibenden Kräfte der Proteste.
Der Fall der Arbeiteraktivistin Sharifeh Mohammadi, deren Todesurteil im August vom Obersten Gerichtshof bestätigt wurde, zeigt, wie eng soziale Kämpfe mit der Forderung nach Demokratie verwoben sind. Noch im Mai haben zehntausende LKW-Fahrer in über 160 Städten die Arbeit niedergelegt. Und auch während der “Frau, Leben, Freiheit“-Proteste kam es immer wieder zu Generalstreiks, etwa in Kurdistan, aus den Basaren oder in der Öl- und Gasindustrie. Sie alle verdeutlichen: Es gibt eine Gesellschaft, die die Unterdrückung durch das Regime und den Stillstand der politischen Elite nicht akzeptiert.

Internationale Solidarität – eine offene Flanke

Während das Regime den Krieg mit Israel nutzt, um Oppositionelle als angebliche “Spione“ zu diffamieren, schauen europäische Regierungen häufig weg. Statt klare Signale an die Zivilgesellschaft zu senden, dominieren migrationspolitische Erwägungen und geopolitische Deals. 
Die Zivilgesellschaft im Iran hat sich in den letzten Jahren als bemerkenswert widerständig erwiesen. Sie ist fragmentiert, aber durch ihre Vielfalt stark: Frauenrechtler*innen, Gewerkschafter*innen, Umweltaktivist*innen, Künstler*innen, ethnisch und religiös marginalisierte Gruppen. Der Slogan “Frau, Leben, Freiheit“ ist ist Ausdruck eines neuen Gesellschaftsvertrags geworden, der Geschlechtergerechtigkeit, Demokratie und Menschenrechte miteinander verbindet.
Die Hoffnung auf Demokratisierung liegt nicht in Appellen an die Führung in Teheran, sondern im Vertrauen in diese Gesellschaft selbst. Ihre Stimmen, ob auf den Straßen von Shiraz, in den Dörfern Belutschistans, in den kurdischen Städten oder in den Zellen von Qarchak, zeigen: Das Streben nach Gerechtigkeit lässt sich nicht einsperren.

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