Die Afrika-EU Partnerschaft zwischen Anspruch und Realität

von Franz Schmidjell

VIDC Online Magazin Spotlight

Dieser Artikel wurde im VIDC Online Magazin Spotlight Dezember 2021 veröffentlicht. Wenn Sie den vierteljährlich erscheinenden Spotlight, Einladungen und Dokumentationen erhalten möchten, klicken Sie bitte hier.

Autor


Franz Schmidjell ist stellvertretender Geschäftsführer des VIDC und betreut den Bereich Afrikapolitik. Seine Arbeitsschwer- punkte sind EU-Afrika Beziehungen, soziale Bewegungen in Afrika und Diaspora Engagement. Er war Initiator der VIDC Kunst-und Kultureinrichtung kulturen in bewegung und Organisator von Informations- und Kulturfestivals. Er studierte Handelswissenschaften an der Wirtschaftsuniversität Wien.

© Shutterstock / MyImages - Micha

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Afrikas Staats- und Regierungschefs kommen mit einiger Kritik zum Gipfeltreffen mit ihren europäischen Partner*innen am 17. und 18. Februar 2022. Der südafrikanische Präsident Cyril Ramaphosa spricht von einer „Impfstoff-Apartheid“. Während der bisherige institutionelle Kooperationsrahmen sowie die Gipfeltreffen stark von europäischen Interessen geprägt waren, ist Afrika durch neue „Partnerschaften“ mit China, Russland oder den Golfstaaten selbstbewusster geworden. Ob der von EU-Ratspräsident Emmanuel Macron formulierte Neustart der Beziehungen ausreichen wird, bleibt abzuwarten. 

Europa ist Afrikas wichtigster Partner. Laut dem Brüsseler Think Tank European Center for Development Policy Management (ECDPM, 2020) werden 36% von Afrikas Außenhandel mit der EU abgewickelt, 17% mit der Volksrepublik China und 6% mit den USA. Bei Investitionen zeigt sich ein ähnliches Bild:  261 Mrd. € der ausländischen Direktinvestitionen (Kapitalstock) stammen aus Europa, 42 Mrd. € aus den USA und 38 Mrd. € aus China. Europa liegt auch bei der Entwicklungszusammenarbeit mit rund 22 Mrd. € pro Jahr an erster Stelle.

Die EU-Afrika Beziehungen werden durch zwei Rahmenverträge gestaltet. Die „Gemeinsame Strategie Afrika-EU” (Joint Africa-EU Strategy, JAES) ist der offizielle Rahmen für die Beziehungen der EU zu den Staaten Afrikas. Daneben existiert das Partnerschaftsabkommen zwischen der EU und der Organisation der afrikanischen, karibischen und pazifischen Staaten (OAKPS, früher AKP-Staaten), das EU-OAKPS Abkommen, auch Post-Cotonou Folgeabkommen genannt.

Die neue EU-Strategie mit Afrika

Im Rahmen der JAES einigte man sich beim 2. EU-AU Gipfel 2007 in Lissabon auf gemeinsame Werte wie Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit und die Zusammenarbeit bei einer Reihe von Themen. Diese werden durch Aktionspläne umgesetzt, die im Rahmen der üblicherweise alle drei Jahre stattfindenden Gipfeltreffen, beschlossen werden.

Diskussionsgrundlage für den kommenden AU-EU Gipfel bildet die Mitteilung der Europäischen Kommission vom März 2020 „Auf dem Weg zu einer umfassenden Strategie mit Afrika“, die am 30. Juni 2020 vom Rat der EU angenommen wurde. Wenige Tage nach der Veröffentlichung wurde der erste Lockdown verhängt: das Gipfeltreffen musste inzwischen aufgrund der Pandemie mehrmals verschoben werden. Der französische Präsident Emmanuel Macron wollte den AU-EU Gipfel unbedingt während seiner EU-Präsidentschaft durchführen. Er sprach von einer „Wiederbelebung“ der Beziehungen zwischen den Kontinenten. Auf afrikanischer Seite hat Senegal, ein guter Verbündeter von Frankreich, den AU Vorsitz übernommen.

JAES versus Post-Cotonou: teure und ineffiziente Doppelstrukturen

Neben der JAES besteht mit dem Cotonou Folgeabkommen ein zweites, komplexes Regelwerk. Die EU und die Organisation afrikanischer, karibischer und pazifischer Staaten (OAKPS) einigten sich am 3. Dezember 2020 auf ein neues Abkommen und am 15. April 2021 wurde es paraphiert. Es tritt an die Stelle des seit 20 Jahre geltenden Partnerschaftsabkommens von Cotonou. Das neue Abkommen muss aber noch von den AKP- und EU-Staaten unterzeichnet und ratifiziert werden. Ein dafür vorgesehener Termin im Herbst 2021 auf der Insel Samoa wurde abgesagt. 
Das neue Abkommen stellt eine gemeinsame Grundlage für die Prinzipien der Kooperation mit den AKP-Staaten dar und beinhaltet drei regionale Protokolle für Afrika, die Karibik und den Pazifik mit fünf Schwerpunkten, die die regionalen Bedürfnisse berücksichtigen. Die Schwerpunkte sind: 

  • Demokratie und Menschenrechte, 
  • nachhaltiges Wirtschaftswachstum und nachhaltige Wirtschaftsentwicklung, 
  • Klimawandel, 
  • menschliche und soziale Entwicklung, 
  • Frieden und Sicherheit, 
  • Migration und Mobilität.

Geert Laporte, Vizedirektor von ECDPM und Afrika-Experte, übt starke Kritik an dem Post-Cotonou Abkommen. Es werde damit eine teure, teils überlappende Doppelstruktur aufrecht erhalten und die drei Regionen Afrika, Karibik und Pazifik verbinde außer der Tatsache, dass sie europäische Kolonien waren, wenig. Zudem umfasst das OAKPS Abkommen nur Subsahara-Afrika. Die nordafrikanischen Staaten sind zwar Teil der AU, aber nicht der OAKPS. 
Eine wesentliche Änderung stellt die Integration des European Development Fund (30,5 Mrd.€, 2014-2020) in das EU Budget dar. Die AKP Vertreter*innen  befürchten dadurch eine geringere Mitsprache.

Wachsende Divergenzen

Die Themen mit divergierenden Positionen zwischen, aber auch innerhalb der beiden kontinentalen Blöcke, sind in der letzten Dekade immer mehr geworden. Die Ursachen sind vielfältig. Afrikanische Politiker*innen haben die Rolle als Bittsteller*innen abgelegt, mit dem Erscheinen neuer Akteur*innen wie China oder den Golfstaaten haben sich Alternativen eröffnet. Die EU regiert auf die geopolitischen Veränderungen indem sie die neu ausgerichtete, “gleichberechtigte” Partnerschaft mit Afrika in den Vordergrund stellt. Allerdings steht diese Rhetorik im Gegensatz zu den historischen Abhängigkeiten, Machtasymmetrien,  ökonomischen Ungleichheiten und europäischen Eigeninteressen.

Die Liste der divergierenden Bereiche umfasst u.a.:

  • Handel im Rahmen der umstrittenen Economic Partnership Agreements (EPAs), die nur 14 von 48 Subsahara-Afrika Ländern anwenden
  • Migration und Mobilität, wo die EU auf leichtere Rückführungen drängt, während die AU über mehr legale Wege diskutieren will
  • Menschenrechte und damit verbundene Konditionalitäten sowie die Rolle des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH) 
  • Rolle der Zivilgesellschaft, deren politischer Spielraum durch Anti-Terrormaßnahmen, Migrationskontrolle und Covid-19 Beschränkungen eingeengt wurde 
  • Klimakrise, die in Afrika bereits seit Langem weitreichende, negative Auswirkungen hat, obwohl der Kontinent nur für rund 3% der Treibhausgasemissionen verantwortlich ist: die afrikanischen Regierungen fordern mehr Ausgleichszahlungen von den Industrieländern
  • Grüne Transformation: afrikanische Regierungen fordern die Anerkennung von fossilen Energieträgern (Öl und Gas) während der Transformation

Hinzu kommt die Covid-19 Pandemie. In der Kigali Deklaration gab es ein gemeinsames Bekenntnis zu mehr lokaler Produktion für Impfstoffe und medizinische Produkte. Über das WIE herrscht aber wenig Einigkeit. Südafrika forderte gemeinsam mit rund 100 Staaten des Globalen Südens im Oktober 2020 die Aufhebung des Patentschutzes für Covid-19 Impfstoffe und medizinische Produkte im Rahmen der WTO. Die EU inklusive Österreich gehören bis heute zu den konsequentesten Gegnern dieses Vorschlages. Statt dessen wurde die Covax-Initiative forciert, die ihre Ziele verfehlt hat: Ende November 2021 lag die Impfrate laut WHO Africa Dashboard bei 6,7% (Vollimmunisierung) bzw. 10% (Erstimpfung).

Eine zentrale Säule der Zusammenarbeit bilden Frieden und Sicherheit. Die Bedeutung der Afrikanischen Friedens- und Sicherheitsarchitektur (APSA) wurde in Kigali von beiden Seiten betont. Friedensmissionen wurden bisher unter der Führung der AU durchgeführt und von der EU im Rahmen der sogenannten AU Friedensfazilität finanziert. Seit März 2021 verfügt die EU über ein neues Finanzierungsinstrument für militärisches Engagement im Ausland: die EU Friedensfazilität (5 Mrd. €, 2021-2027). Dadurch befürchtet die AU den Verlust der Gelder für ihre Friedenseinsätze. Diese Abkehr vom Prinzip „Afrikanische Lösungen für afrikanische Probleme“ wird von afrikanischer Seite heftig kritisiert.

Was braucht es für eine gleichberechtigte Partnerschaft?

Die EU und AU sind von einer gleichberechtigten Partnerschaft weit entfernt. Zur Annäherung muss die EU weniger ihre Rhetorik, sondern ihre Praxis ändern. Bei kontroversen Positionen wie zum Thema Migration braucht es realistische Kompromisse, die auch die Interessen der Ursprungs- und Transitländer berücksichtigen. Zweitens gilt es, die EU Strategien stärker mit den Prioritäten der AU (Agenda 2063, African Continental Free Trade Area, usw.) abzustimmen. Drittens wird die EU aufgefordert, die „double standards“ zu beenden: Menschenrechte, Demokratie und gute Regierungsführung in Afrika sollten oberste Priorität haben und dürfen nicht der Migrationsabwehr und Terrorbekämpfung für eine vermeintliche Stabilität zum Opfer fallen. Die AU wiederum braucht eine einheitlichere Stimme und eine „Strategie mit Europa“ (8. Dezember 2022).