Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen: Die 9. österreichische Entwicklungstagung im Rückblick

Von Oliver Boeck

VIDC Online Magazin Spotlight

Dieser Artikel wurde in der Spotlight-Ausgabe Dezember 2025 veröffentlicht. Wenn Sie den vierteljährlich erscheinenden Spotlight, Einladungen und Dokumentationen erhalten möchten, klicken Sie bitte hier.

Autor*

Oliver Boeck, studiert derzeit im Master Internationale Entwicklung an der Universität Wien, mit Schwerpunkten auf kritischer EZA, globaler Ungleichheit und der Region Ostafrika.

Eröffnungspanel mit Karin Fischer, Jens Martens, Rina Alluri & Patrick Bond, © Paulo Freire Zentrum/Maike Schönwolff

(12. Dezember 2015) Vom 21. bis 23. November 2025 versammelten sich rund 250 Teilnehmende aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft, Politik und Praxis an der Universität Innsbruck zur 9. Österreichischen Entwicklungstagung. Das Thema „Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen" - SDG 16 - könnte aktueller nicht sein: In Zeiten eskalierender Konflikte, autoritärer Tendenzen und schwindender Budgets für die Entwicklungszusammenarbeit stellten sich Akteur*innen der Entwicklungspolitik die zentrale Frage nach der Zukunft internationaler Solidarität.

Institutionen unter Druck

Das Eröffnungspanel zu „Global Governance und Geopolitik“ analysierte die Krise der multilateralen Institutionen. Die Konfliktforscherin Rina Alluri von der Universität Innsbruck verwies auf die Lähmung des UN-Sicherheitsrats: Wenn Resolutionen mit überwältigenden Mehrheiten angenommen würden – wie zuletzt etwa zu Gaza, zur Ukraine und zum Sudan -, aber dennoch wirkungslos blieben, stelle sich grundsätzlich die Frage nach funktionierenden Accountability-Mechanismen. 
Jens Martens vom Global Policy Forum Europe zeichnete ein ernüchterndes Bild der SDG-Umsetzung: Nur 18 Prozent der Zielvorgaben seien im Plan, bei über einem Drittel gehe die Entwicklung sogar in die falsche Richtung. Besonders dramatisch: Die Zahl gewaltsamer Konflikte weltweit sei auf über 200 gestiegen. Gleichzeitig würden die öffentlichen Entwicklungsbudgets drastisch gekürzt - um 9 Prozent im letzten Jahr, weitere 17 Prozent seien für 2025 zu erwarten. Dem stünden Militärausgaben von 2,7 Billionen USD gegenüber - ein historischer Höchststand.

Patrick Bond von der University of Johannesburg legte die Widersprüche der aktuellen Weltordnung offen. Während Südafrika Israel vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Völkermords anklage, gehöre dasselbe Land gleichzeitig zu den wichtigsten Kohlelieferanten für Israels Energieversorgung. Der mittlerweile zehn Länder umfassende, informelle BRICS-Staatenverband würde sich zwar als Alternative zur westlichen Hegemonie präsentieren, sei aber selbst in komplexe ökonomische Allianzen verstrickt. Auch im globalen Süden, so Bond, reproduzierten sich Machtstrukturen und Abhängigkeiten entlang nationaler Interessen.

Wo es konkret wurde: Workshops und Foren

Den zweiten Konferenztag eröffnete Stephan Klingebiel vom IDOS mit einer Keynote zum Thema „Demokratie, Autoritarismen und die Zukunft der Entwicklungspolitik“. Er warnte vor einer Instrumentalisierung entwicklungspolitischer Narrative: Während China und die USA konkurrierende Konzepte globaler Governance promovieren, wird Entwicklungspolitik im Westen zunehmend gegen nationale Interessen ausgespielt und verliert dadurch an Legitimität. Dies stelle Länder des Globalen Südens vor die zentrale Entscheidung, welches Modell globaler Zusammenarbeit für sie attraktiver sei. Anschließend diskutierten Abgeordnete des österreichischen Nationalrats die Frage, was es für die Entwicklungspolitik bedeute, wenn rechte Regierungen sie als Instrument der Sicherheitspolitik umdeuteten.

Der Nachmittag war von Workshops zu zentralen Konflikten und Lösungsansätzen geprägt. In der ersten Runde behandelten 13 interaktive Formate Themen wie Klimagerechtigkeit und die Rechte künftiger Generationen. Der vom VIDC mitorganisierte Workshop zu feministischer dekolonialer Solidarität ging der Frage nach, wie transnationale Solidarität Abhängigkeitsverhältnisse überwinden kann. Der Workshop der ehemaligen nicaraguanischen Guerillakämpferin Dora María Téllez stellte sich der Frage: „Was ist nur mit der Revolution passiert?" Téllez' Analyse machte deutlich, wie schnell emanzipatorische Bewegungen umschlagen und autoritäre Strukturen ausbilden können - eine Warnung, die weit über Nicaragua hinausweist und zentral für die Diskussionen um SDG 16 war.
In der zweiten Runde vertieften fünf große Foren regionale und konzeptionelle Dimensionen, darunter das von Martina Neuwirth konzipierte und moderierte VIDC-Forum zu illegitimen Finanzströmen (IFFs). Das Thema griff direkt eine Zielsetzung von SDG 16.4 auf, nämlich die Reduzierung jener schädlichen Finanzströme, die auf kriminelle Aktivitäten oder Steuermissbrauch zurückgehen. Jens Martens hatte zuvor die Initiative afrikanischer Länder für eine UN-Rahmenkonvention zur Steuerkooperation als „Lichtblick" bezeichnet - und der Workshop zeigte die Dringlichkeit: Jährlich fließen schätzungsweise 89 Milliarden Dollar illegal aus Afrika ab, mehr als an Entwicklungszusammenarbeits-Mittel hineinfließt. Mit den Expertinnen des UN-Büros für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC), der Afrikanischen Union sowie der Global Initiative against Transnational Organized Crime diskutierten die Teilnehmer*innen des Forum die strukturellen Mechanismen und Auswirkungen sowie konkrete Lösungsansätze für Afrika und den Westbalkan.

Feministische Friedenspolitik neu denken

Der dritte Tag stand ganz im Zeichen einer neuen Perspektive auf Frieden und Sicherheit. Im Panel „Women, Peace & Security" wurde betont, dass Solidarität statt klassischer Sicherheitsarchitektur zum Leitprinzip einer feministischen Friedenspolitik werden muss. 25 Jahre nach der UN-Resolution 1325, die Frauen in Friedensprozesse einbeziehen und ihren Schutz in Konflikten stärken sollte, fällt die Bilanz wegen der weiterhin mangelhaften Umsetzung ernüchternd aus.

Angesichts dessen forderte Radwa Khaled-Ibrahim von Medico International, feministische Zugänge zu Frieden nicht auf Frauenförderung zu reduzieren, sondern Strukturen grundlegend zu verändern. Berichte erfolgreicher Modelle feministischer Widerstandsbewegungen aus Ländern des Globalen Südens zeigten, wie wichtig transnationale Allianzen sind - und wie klassische Friedensmissionen zunehmend hinterfragt werden. Die Botschaft: Erfolgreiche Widerstände entstehen durch horizontale Vernetzung und Interdisziplinarität - wenn medizinisches, wissenschaftliches, juristisches und Community-Wissen zusammenkommen.

Gerechtigkeit neu definieren

Im Abschlussplenum zu „Gerechtigkeit und Environmental Justice“ wurde eine weitere Schieflage sichtbar. Grettel Navas, chilenische Politikwissenschaftlerin und Gastprofessorin an der Universität Wien, präsentierte Forschungsergebnisse zu über 3.000 Umweltkonflikten weltweit. Ob Lithium-Bergbau in Chile, Soja-Plantagen in Argentinien oder Ölförderung in Westafrika - überall zeigte sich dasselbe Muster von Kommunen, die von Konzernen verdrängt werden. Navas machte hierbei auf das konzeptionelle Problem aufmerksam, dass eine rein monetäre Bewertung von Umweltschäden nicht alle Dimensionen abdecken könne. Trotzdem setzten Umweltverträglichkeitsprüfungen genau auf diese ökonomische Logik und blendeten kulturelle, spirituelle und ökologische Aspekte systematisch aus.

Was bleibt ist kritische Hoffnung

Die Erkenntnis „Wir sind unter Druck“ war allgegenwärtig - doch sie wirkte nicht lähmend, sondern aktivierend. Die Brüchigkeit der Institutionen, der multilateralen Ordnung und das Hinterfragen von Begrifflichkeiten, mit denen die Entwicklungspolitik agiert, war der Ausgangspunkt für einen Perspektivwechsel. Dabei etablierte sich das Konzept der „Kritischen Hoffnung“ als Leitformel der Tagung: Eine Haltung einzunehmen, die die Realität anerkennt, ohne eine bessere Zukunft aufzugeben.
Als roter Faden zog sich die Forderung nach neuen Narrativen für die Entwicklungszusammenarbeit durch alle Debatten. Nicht das alte Hilfsparadigma sondern rechtsverbindliche Formen globaler Solidarität; weg von hierarchischen Konzepten von „Entwicklung“, hin zu Partnerschaft auf Augenhöhe. Sybille Straubinger, Vorstandsvorsitzende der AG Globale Verantwortung und Direktorin des VIDC, betonte in ihrer Eröffnungsrede, dass jede Diskussion, jede Auseinandersetzung ein Schritt in Richtung der Verwirklichung von SDG 16 sei. Und eines wurde in diesen drei Tagen deutlich: Es sind diese Räume des Austauschs, der kritischen Reflexion und der solidarischen Vernetzung, die in Zeiten autoritärer Tendenzen und schrumpfender Handlungsspielräume unverzichtbar werden.

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