(8. Dezember 2025) „Wer Ungerechtigkeit erlebt hat, lehnt sie für alle ab – für Männer wie für Frauen. Wir wählen nicht, ob wir als Mann oder Frau geboren werden, daher sollten wir für ein gutes Leben für alle eintreten.“ (Adel Badenjeky, WASAT)
Gemeinsam mit dem afghanischen Sport- und Kulturverein NEUER START sowie dem Verein Poika 2016 initiiert, verfolgt das VIDC mit den Gender-TANDEM-Trainings einen zentralen Ansatz: Geflüchtete in Wien – zunächst Burschen* und Männer* aus Afghanistan – zusammenzubringen und für Geschlechtergerechtigkeit zu sensibilisieren.
Zwischen 21. und 27. November fand unter der Anleitung von Shokat Walizadah (NEUER START) und Philipp Leeb (Poika) an drei Tagen das Training of Trainers der Männer* im Rahmen des Gender-TANDEM-Trainings 2025/2026 statt. Elf Männer* aus Afghanistan, Syrien und Österreich nahmen daran teil, um später zusammen Workshops in Wien und Salzburg zu gestalten.
Während die beiden afghanischen Vereine AKIS und NEUER START langjährige Kooperationspartner des VIDC sind, bieten in diesem Jahr zum ersten Mal auch die beiden syrischen Vereine Souriat (Syrian Women for Justice and Peace) und WASAT (Wien - Arabischer Sozialer Austausch und Treffpunkt) Trainingsprogramme für Männer* an.
„Das Training (of Trainers) war empowernd. Am spannendsten war für mich die Begegnung zwischen den Communities.“ (Abhulhamid Kwieder, WASAT)

Inhaltlich decken die Workshops ein breites Spektrum ab: von grundlegenden Fragen zu Gleichberechtigung, Männlichkeit(svorstellungen), Geschlechterhierarchien über physische, psychische und sexuelle Gesundheit bis hin zu Gewaltdynamiken in Beziehungen und Möglichkeiten der Existenzsicherung. Mehrere Module werden dabei durch Fachinputs von Beratungsstellen wie MEN - Männergesundheitszentrum und der Männerberatung ergänzt.
Dabei wird auch sichtbar, wie sich die Geschlechterrollen verändert haben. Adel Badenjeky (WASAT) beschreibt es so: „Männer beteiligen sich heute häufiger an Care-Arbeit, während der Krieg in Syrien viele Frauen in den Arbeitsmarkt gedrängt hat. Zu sehen, wie Männer heute offener über Haus- und Sorgearbeit sprechen, war für mich besonders bereichernd.“

Was unterscheidet das VIDC Gender-TANDEM-Training von anderen Trainings?
Im Zentrum steht das TANDEM-Prinzip: Eine Person mit Fluchtgeschichte und eine Person ohne Fluchtgeschichte gestalten gemeinsam die Workshops – gleichberechtigt, respektvoll und auf Augenhöhe. Dass die Teilnehmenden sich in ihrer Erstsprache ausdrücken können, ist ein wesentliches Element dieser Haltung und schafft Vertrauen. Die Workshops gelingen, wenn ein sicherer Rahmen entsteht, in dem auch angst- und schambesetzte sowie tabuisierte Themen angesprochen werden dürfen. Alle, unabhängig von Alter oder Bildungsniveau, sind eingeladen, ihre Erfahrungen, Ängste und ihr Wissen einzubringen. Die unterschiedlichen Perspektiven öffnen dabei den Raum für Gespräche und machen neue, oft ungewohnte Sichtweisen zugänglich.
Diese Perspektivenvielfalt ist zugleich wichtig, um die widersprüchlichen Bilder und Erwartungen sichtbar zu machen, denen geflüchtete Männer* in Österreich begegnen. Geflüchtete Männer* gelten gleichzeitig als unterlegen und als gefährlich; sie hören im Alltag sowohl, dass „sie uns die Arbeit wegnehmen“, als auch, dass „sie nicht arbeiten wollen“. Einerseits werden sie in der Öffentlichkeit häufig marginalisiert oder übersehen, andererseits ständig anhand äußerer Merkmale wie Hautfarbe, Name oder Akzent als „anders“ markiert.
„Mann-sein heißt für mich, sich im Zorn zu beherrschen. Stärke ist kein Recht, andere zu verletzen – nicht körperlich und nicht verbal.“ (Adel Badenjeky, WASAT)

Weltweit formiert sich eine Allianz aus religiösen Fundamentalist*innen und rechtsextremen politischen Akteuren*innen, die Frauen* ihre hart erkämpfte Rolle als gleichberechtigte gesellschaftliche und politische Akteur*innen absprechen wollen. Im Training of Trainers findet auch Austausch und Reflexion über die Situation in den jeweiligen Ländern statt.
Die Rückkehr der Taliban im August 2021 und die damit verbundenen Erfahrungen in Afghanistan waren nur eines der Gesprächsthemen. Gender-Apartheid geschieht dort Tag für Tag unter den Augen der Weltöffentlichkeit. Man möge sich vorstellen, ein Land verabschiede Gesetze, wonach es Männern* nicht erlaubt sei, ohne weibliche Begleitung das Haus zu verlassen. Diese Vorstellung erscheint absurd, doch Frauen* sind ihr in Afghanistan täglich ausgeliefert.
In Syrien öffnet sich nach dem Sturz des Diktators Bashar al-Assad die internationale Gemeinschaft schrittweise dem Land. Die neue Regierung unter Ahmed al-Sharaa wird zunehmend diplomatisch anerkannt. Sharaa, einst von US-amerikanischen Truppen im Irak festgenommen und später auf eine internationale Terrorliste gesetzt, schüttelt 2025 im Weißen Haus die Hände derjenigen, die ihn einst festnahmen. US-Präsident Donald Trump bezeichnet ihn als „young, attractive guy“ und kündigt an, alles tun zu wollen, um „Syrien erfolgreich zu machen“. Doch die geopolitischen Dynamiken bleiben genauso ungewiss, wie die Frage, welchen Stellenwert die mentale Gesundheit der Menschen beim Wiederaufbau des Landes einnimmt, betont Ahmad Allkoud (Souriat):
„Wenn wir diese psychische Gesundheitskrise nicht angehen, wird die Gewalt irgendwann zurückkehren – ganz egal, wer an der Macht ist. Ein Gebäude kann man in einem Monat reparieren, aber einen Menschen zu heilen dauert Jahre. Wahre Erholung bedeutet, genauso viel in psychosoziale Unterstützung zu investieren wie in Zement.“
Krieg und Gewalt treffen Menschen unterschiedlich. Sie verändern das Leben von Männern* und Frauen* in radikaler Weise. Gerade deshalb ist es zentral, Gewalt nicht nur individuell, sondern auch soziopolitisch zu verstehen. Dass Frauenkörper als Projektionsfläche und Instrument politischer Auseinandersetzungen dienen, ist dabei kein Problem der „anderen“, sondern tief in kulturellen Narrativen Europas verankert: Schon der Mythos vom „Raub der Sabinerinnen“, durch den die Stadt Rom begründet wurde, erzählt davon, wie ein politisches Gemeinwesen über die gewaltsame Aneignung von Frauenkörpern hergestellt wird. Abseits von Mythen, zeigt sich Gewalt gegen Frauen* in Österreich ganz konkret: Unhaltbar häufig ermorden Männer Frauen*, weil sie Frauen* sind (27 Femizide allein 2024).
„Für die Teilnehmenden am Gender-Tandem Training wünsche ich mir Mut, Offenheit und Vertrauen“ (Abdulhamid Kwieder)
Besonders auffällig bei den Gender- TANDEM-Trainings der Männer* ist die offene, wertschätzende Atmosphäre. Es werden persönliche Erfahrungen geteilt, einander zugehört, viel gelacht. Das TANDEM-Modell zeigt, dass eine offene und sich-öffnende Gesellschaft entsteht, in der aufrichtige Begegnungen möglich werden. Menschen sprechen miteinander, lernen voneinander und sind bereit, sich auf eine andere Perspektive einzulassen – finden das Eigene im Anderen und das Andere im Eigenen.

