Frieden braucht Frauen!

Afghanische Frauen drängen auf ihre Einbeziehung in den Friedensprozess

Videoberichte


Die afghanisch-österreichische Journalistin Tanya Kayhan hat das Women Leaders' Peace Summit besucht und für das VIDC Videoreportagen vom Summit sowie von der Genfer Afghanistan-Konferenz zusammengestellt.

Afghan Women Leaders' Peace Summit 2020 (Deutsche Untertitel)

Afghan Women Leaders' Peace Summit 2020 (English Subtitles)

2020 Afghanistan Conference in Geneva (Deutsche Untertitel)

Autoren


Ali Ahmad

ist Doktorand am Department für Migration und Globalisierung der Donau-Universität Krems (DUK). Ahmad arbeitet seit 2015 zudem als Konsulent für das VIDC.

Michael Fanizadeh

 arbeitet bei VIDC Global Dialogue, zuständig für die Themen Migration & Entwicklung mit einem regionalen Fokus auf den Nahen und Mittleren Osten.

Afghanistan, VIDC, Afghan Women Leaders' Peace Summit 2020

© OXUS TV/Tanya Kayhan

Von Ali Ahmad und Michael Fanizadeh

Während die Friedensgespräche zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban Anfang Dezember an Fahrt aufgenommen haben, fanden im November zwei wichtige Konferenzen für die Zukunft in Afghanistan statt. Zum einen der Afghan Women Leaders' Peace Summit 2020 in Dubai, bei dem afghanische Frauen betonten, dass sie in die Verhandlungen miteinbezogen werden wollen und nicht bereit seien, ihre Rechte aufzugeben, um Frieden zu erreichen.  Zum anderen die internationale Geberkonferenz für Afghanistan, die vom 23. bis zum 24. November 2020 in Genf stattfand und bei der ebenfalls viel über die Rechte von Frauen, Kindern und Minderheiten gesprochen wurde, es aber vor allem um Zusagen für neue Hilfsgelder in Höhe von jährlich 3,3 Milliarden US-Dollar ging.

Afghan Women Leaders' Peace Summit 2020

Zwischen dem 15. und 21. November traf sich eine Gruppe von 50 afghanischen Frauen aus zivilgesellschaftlichen Organisationen, der afghanischen Regierung und der afghanischen Diaspora in Dubai zum Afghan Women Leaders' Peace Summit 2020. Der Gipfel ermöglichte es ihnen, ihre Ängste und Erwartungen an die laufenden Friedensgespräche zwischen der afghanischen Regierung und den Verhandlungsführern der Taliban auszutauschen, die zeitgleich in Doha, Katar, stattfinden.  
Der Gipfel wurde gemeinsam vom Afghan Women's Network (AWN) und dem Afghanistan Mechanism for Inclusive Peace (AMIP) organisiert, um die Wichtigkeit der Beteiligung von Frauen während des gesamten Friedensprozesses zu diskutieren. Die teilnehmenden afghanischen Frauen waren zutiefst besorgt über die fehlende weibliche Repräsentation während der Friedensgespräche und die Zunahme der Gewalt seit dem Friedensabkommen zwischen der US-Regierung und den Taliban am 29. Februar in Doha zur Beendigung des Afghanistan-Krieges. Die afghanischen Frauen betonten, dass sie nicht bereit seien, ihre Rechte aufzugeben, um Frieden zu erreichen.  
Mary Akrami, die Mitorganisatorin des Gipfels von AWN, sagte in einem Interview mit dem Vienna Institute for International Dialogue and Cooperation (VIDC), dass die Frauen Afghanistans drei Hauptforderungen an die Friedensvermittler der Taliban und der afghanischen Regierung haben: Erstens: Beide Konfliktparteien müssen einen landesweiten Waffenstillstand einhalten. Zweitens sollte der Friedensprozess umfassender sein, indem Minderheitengruppen, Kriegsopfer und Frauen in den Prozess einbezogen werden. Akrami betonte jedoch, dass Frauen nicht als Opfer, sondern als wichtige Akteurinnen in die laufenden Friedensgespräche einbezogen werden sollten. Drittens müsse der Schutz für die Frauenrechtsaktivistinnen in ganz Afghanistan gewährleistet werden, so Akrami.   

Die afghanische Staatsministerin für Menschenrechte und internationale Beziehungen, Sima Samar, die an der Frauenkonferenz in Dubai teilnahm, zeigte sich besorgt, dass die afghanischen Frauen einige der Rechte verlieren könnten, die sie errungen haben, seit die US-geführten Streitkräfte die Taliban nach den Anschlägen vom 11. September 2001 von der Macht verdrängt haben. Sie erklärte dem VIDC, dass mehr Frauen im Verhandlungsteam Druck auf die Taliban ausüben würden, die tatsächlichen Realitäten ihres Landes anzuerkennen.
"Wir sind besorgt, weil wir es mit einer Gruppe von Menschen zu tun haben, die für Unterdrückung kämpfen; nicht für Freiheit; nicht für die Förderung von Menschenrechten und Gleichheit", erklärte Sima Samar in einem Interview mit dem VIDC am Rande des Gipfels.  

Nach Angaben des afghanischen Ministeriums für Flüchtlinge und Repatriierung (MoRR) leben fast 700.000 Afghanen in Europa, wobei Deutschland mit 257.110 die meisten Afghan*innen aufgenommen hat. Ein Dutzend afghanische Frauen aus der Diaspora waren ebenfalls zum Gipfel gekommen, um ihr Wissen und ihre Erfahrungen mit anderen Afghaninnen zu teilen.
Sonia Ahmadi, eine Afghanin in Norwegen, versicherte, dass die afghanischen Frauen in der Diaspora ihre Erfahrungen und ihr Wissen nutzen könnten, um andere afghanische Frauen während des Friedensprozesses zu unterstützen, damit dieser inklusiver wird. Sie erklärte, dass die afghanischen Frauen in der Diaspora sich für die Einbeziehung von mehr afghanischen Vertreterinnen in den laufenden Friedensprozess einsetzen sollten.

Forderungen nach Rechten, Gerechtigkeit und Inklusion

Die Teilnehmer*innen beim Peace Summit einigten sich auf mehrere Schlüsselthemen, zu denen ein sofortiger Waffenstillstand, die Einbeziehung der afghanischen Frauen und der Zivilgesellschaft in die Friedensgespräche sowie die Rolle der Nachbarländer, die Einfluss auf die Taliban haben, gehören. Sie veröffentlichten ihre Forderungen in Form einer Deklaration zum Abschluss des Gipfels am 21. November. In dem Abschlussdokument heißt es auch, dass die Durchführung von Friedensgesprächen außerhalb Afghanistans Bedenken hinsichtlich der Zugänglichkeit, Transparenz und Verantwortlichkeit des Prozesses schürt.

Die Deklaration fordert, dass mindestens 30% der Verhandlungsteams beider Seiten aus Frauen bestehen sollten und dass Frauen auf allen Ebenen des Friedensprozesses und der Entwicklung nach der Einigung vertreten sein sollten. Derzeit sind von den 21 Mitgliedern der afghanischen Regierungsdelegation nur vier Frauen, während es in der Taliban-Delegation keine Frauen gibt. Die Taliban-Rebellen hatten Frauen aus dem öffentlichen Leben verbannt, als sie Afghanistan zwischen 1996 und 2001 regierten, was erklärt, warum in ihrer Delegation keine Frauen vertreten sind.

Ein sofortiger, tragfähiger und stabiler Waffenstillstand, zu dem sich beide Konfliktparteien öffentlich bekennen, gehört zu den Forderungen der afghanischen Frauen, wie es in der Erklärung heißt. Die Frauen bekräftigten, dass die Freilassung von mehr als 5.000 Taliban-Gefangenen, denen die afghanische Regierung Kriegsverbrechen vorwirft, keinen Waffenstillstand gebracht hat. Im Gegenteil, sie untergrub die Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit und legitimierte die Terrorakte der Taliban. Angesichts der fortgesetzten Angriffe beider Seiten verloren die Menschen das Vertrauen in den Friedensprozess, heißt es in der Erklärung. Falls ein Waffenstillstand vereinbart werden kann, fordern die Frauen die Länder mit Einfluss auf beide Parteien auf, den Frauen, den Kriegsopfern und der Zivilgesellschaft zu ermöglichen, diesen Waffenstillstand zu überwachen und sicherzustellen, dass er eingehalten wird.  

Ein weiterer Schwerpunkt des Afghan Women Leaders' Summit 2020 betraf die Rivalität von Staaten in der Region bei der Fortführung des Krieges in Afghanistan. Die Erklärung erkennt die Rolle der Nachbarländer bei der Aufnahme von Millionen von afghanischen Flüchtlingen über viele Jahrzehnte an, warnt aber vor der Politisierung der Flüchtlinge. Die Erklärung stellt fest, dass einige der Nachbarländer Waffen und Unterstützung für bewaffnete Gruppen bereitstellen, um Afghanistan zu destabilisieren. Sie fordert die Nachbarländer auf, ihr Engagement für den afghanischen Friedensprozess zu beweisen.  

In der Erklärung heißt es, dass die Friedensverhandlungen die verfassungsmäßigen Rechte und Werte sowie die bürgerlichen Freiheiten einschließlich der Rede- und Medienfreiheit garantieren müssen. Neben der Bewahrung der Errungenschaften der letzten 19 Jahre sollten auch die Opfer des Krieges in den Friedensprozess einbezogen werden, um Rache zu vermeiden und den Heilungs- und Genesungsprozess im Land zu unterstützen.

Internationale Afghanistan-Konferenz in Genf

Die Afghanistan-Konferenz 2020 war eine Geberkonferenz, die von den Regierungen Afghanistans und Finnlands gemeinsam mit den Vereinten Nationen ausgerichtet wurde und vom 23. bis 24. November 2020 stattfand. Die Geber sagten für das erste Jahr der kommenden Vierjahresperiode mindestens 3,3 Milliarden US-Dollar zu, wobei die jährlichen Zusagen voraussichtlich auf dem gleichen Niveau bleiben werden.

Als größter Geldgeber hat die Europäische Union die Bereitstellung von 1,2 Mrd. € in Form von Soforthilfe und längerfristig angelegter Unterstützung im Zeitraum 2021-2025 zugesagt. Der Hohe Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Josep Borrell, erklärte auf der Eröffnungssitzung der Konferenz: „Auch nach Beginn der innerafghanischen Friedensverhandlungen leidet das afghanische Volk weiter unter furchtbarer Gewalt. Das Land steht an einem Scheideweg. Das afghanische Volk kann auf die Unterstützung der Europäischen Union beim Aufbau einer Zukunft in Wohlstand und Frieden zählen, doch unsere Unterstützung setzt den Schutz von Demokratie, Menschenrechten und sozialem Fortschritt voraus.“

Auch Österreich betont seine Bereitschaft zur weiteren finanziellen Unterstützung Afghanistans, so der Generalsekretär im Außenministerium Peter Launsky-Tiefenthal: „Seit der letzten Brüsseler Afghanistan-Konferenz (2016) belief sich die bilaterale Unterstützung Österreichs für Afghanistan auf mehr als 10 Millionen Euro. Diese Unterstützung wurde hauptsächlich in Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen geleistet, um die Lebensbedingungen zu verbessern und Perspektiven für die Menschen in Afghanistan, insbesondere für Frauen und Kinder, aufzubauen. Österreich ist bestrebt, seinen Beitrag in diesem Sinne fortzusetzen.“

Pakistans Premier besucht Kabul

Während afghanische Frauen in Dubai über den Abbau von Gewalt und die Einbeziehung von Frauen in den Friedensprozess diskutierten, besuchte Pakistans Premierminister Imran Khan am 19. November erstmals Kabul, um das Engagement seines Landes für die afghanischen Friedensgespräche zu bekräftigen. Khan versicherte der afghanischen Regierung, dass Pakistan alles tun werde, um die Gewalt in Afghanistan zu reduzieren.
"Wenn Sie das Gefühl haben, dass es etwas gibt, bei dem Pakistan helfen kann, lassen Sie es uns bitte wissen. Wir versichern Ihnen, dass wir alles tun werden, was in unserer Macht steht", erklärte Imran Khan während einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani in Kabul.

 Pakistans Rolle war entscheidend, um die Taliban zu überzeugen, mit den Amerikanern und schließlich mit der afghanischen Regierungsdelegation in Doha zu sprechen. Die USA und die afghanische Regierung haben Pakistan jedoch stets vorgeworfen, Elementen der Al-Qaida und der berüchtigten Haqqani-Terrorgruppe der Taliban in Pakistan Zuflucht zu gewähren.
   
Am 12. September begannen die afghanische Regierungsdelegation und die Unterhändler der Taliban ihr erstes persönliches Treffen in Doha, konnten sich aber erst fast drei Monate später, am 2. Dezember, auf die Regeln und Verfahren der Verhandlungen einigen. Die eigentlichen Friedensgespräche zur Beendigung des Krieges in Afghanistan haben noch nicht begonnen.

Unterdessen trafen sich die Mitglieder des neu gegründeten Hohen Rates für Nationale Versöhnung am 5. Dezember in Kabul zum ersten Mal, um den Fahrplan für den Frieden zu diskutieren. Der US-Sonderbeauftragte für die Versöhnung Afghanistans, Zalmay Khalilzad, begrüßte die Gründung des Rates. Er schrieb in einem Twitter-Post, dass dieser Rat die Bedingungen des Friedensabkommens, die Teilung der Macht und einen dauerhaften und umfassenden Waffenstillstand mit den Taliban aushandeln werde.
"Das afghanische Volk hat sich nach Frieden gesehnt. Die Schritte, die in den letzten Tagen unternommen wurden, sind positiv und hoffnungsvoll. Ich fordere beide Seiten auf, ihre Friedensbemühungen zu beschleunigen, um den langen Krieg des Landes zu beenden", twitterte Khalilzad.