Anlässlich des 80-jährigen Bestehens der Vereinten Nationen (UNO) lud das VIDC am 3. Novemer 2025 zu einer Podiumsdiskussion in die Diplomatische Akademie Wien ein, die Expert*innen mit Erfahrung in Aktivismus und internationaler Diplomatie zusammenbrachte. Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand die Bilanz nach acht Jahrzehnten UNO: ihre Errungenschaften und Fortschritte ebenso wie ihre Grenzen bei der Förderung von Frieden, Sicherheit und Entwicklung weltweit.
Darüber hinaus wurde das 25-jährige Bestehen der Agenda Frauen, Frieden und Sicherheit (WPS) hervorgehoben, die die zentrale Rolle von Frauen in Friedensprozessen und die Bedeutung einer geschlechtergerechten Perspektive in globalen Strategien betont. Unter der Moderation von Miriam Mukalazi diskutierten die Teilnehmenden verschiedene Perspektiven auf das Vermächtnis der Vereinten Nationen, ihre Rolle in der internationalen Politik und die Notwendigkeit von Reformen und Innovationen angesichts aktueller Herausforderungen.
Wie sähe die Welt ohne die UNO aus?

Seit ihrer Gründung ist die UNO eine tragende Säule internationaler Zusammenarbeit und Menschenrechtspolitik. Sie hat rechtliche und soziale Strukturen geschaffen, um gemeinsame Interessen der Menschheit zu fördern und globale Sicherheit zu gewährleisten.
Alexander Kmentt, Direktor der Abteilung für Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung im österreichischen Außenministerium, betonte in seinem Beitrag:
„Der vielleicht größte Erfolg der UNO ist der, den wir nicht beweisen können: Wie hätten sich die letzten 80 Jahre ohne sie entwickelt?“
Ohne die UNO, so Kmentt, wäre die Welt vermutlich von weit mehr Konflikten erschüttert worden. Er hob fünf zentrale Bereiche hervor, in denen die Vereinten Nationen entscheidende Fortschritte erzielt haben:
- Friedenssicherung – ein Bereich, in dem auch Österreich aktiv an nachhaltigen Friedensinitiativen beteiligt ist.
- Entwicklung des Völkerrechts und der Menschenrechte, darunter das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) und die Kinderrechtskonvention.
- Globale Sicherheit, insbesondere durch internationale Verträge wie den Atomwaffensperrvertrag und den Vertrag über das Verbot von Kernwaffen, beide von Österreich stark unterstützt.
- Entkolonialisierung, die durch UN-Resolutionen und die Unterstützung von Unabhängigkeitsbewegungen entscheidend vorangetrieben wurde.
- Nachhaltige Entwicklung und humanitäre Hilfe, etwa durch die Schaffung der Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) und weltweite Gesundheits- und Hilfsinitiativen.
Diese Errungenschaften verdeutlichen den historischen und aktuellen Beitrag der Vereinten Nationen – trotz struktureller Grenzen, insbesondere im Sicherheitsrat.

„Es sollte nicht normal sein, dass wir humanitäre Hilfe brauchen.“
Die ungleichen Machtverhältnisse im internationalen System prägen auch die Arbeit der UNO – und beeinflussen, wie und wo Ressourcen, Aufmerksamkeit und politische Maßnahmen ankommen.
Die ugandische Journalistin und Aktivistin Rosebell Kagumire, Kolumnistin bei The New Internationalist, kritisierte in der Diskussion das Schweigen der internationalen Gemeinschaft angesichts schwerer humanitärer Krisen und weit verbreiteter Gewalt gegen Zivilbevölkerungen – etwa in Sudan oder der Demokratischen Republik Kongo.
Kagumire erinnerte daran, dass afrikanische Staaten bei der Gründung der UNO ausgeschlossen waren und bis heute innerhalb eines von kolonialen Strukturen geprägten Systems um Stimme, Einfluss und Legitimität kämpfen. Zwar sei die Entkolonialisierung ein bedeutender Meilenstein gewesen, doch globale Wirtschaftsmechanismen wie Schulden und Ausbeutung schränkten die Souveränität und Stabilität vieler Länder weiterhin ein.
„Die UNO bleibt eine Institution, deren Entscheidungsträger ein kleiner Club ehemaliger Kolonialmächte sind, die weiterhin bestimmen wollen, wie die Welt auszusehen hat.“
Kagumire forderte, diese Machtverhältnisse nicht länger zu akzeptieren, sondern aktiv zu hinterfragen, „für wen Frieden geschaffen wird und wer davon profitiert“. Echte Veränderung könne nur durch kritisches Hinterfragen und strukturelle Reformen erreicht werden.
Sie betonte, es dürfe nicht als selbstverständlich gelten, dass afrikanische Länder auf humanitäre Hilfe angewiesen seien. Die fortbestehenden Konflikte und Instabilitäten vieler Regionen seien ein Erbe kolonialer und imperialer Machtverhältnisse. Nur durch eine grundlegende Neuverteilung globaler Macht könne die Wiederholung von Gewalt und Konflikten verhindert werden.
Die Rolle der UN-Instrumente für Frauen und der Ruf nach Innovation

Die Vereinten Nationen stehen bei der Umsetzung von Maßnahmen und der gerechten Verteilung von Ressourcen vor erheblichen Herausforderungen. Dennoch bleibt schwer vorstellbar, wie die Welt ohne ihre Bemühungen um Konfliktprävention, Dialog und Zusammenarbeit aussehen würde.
Margot Wallström, ehemalige schwedische Außenministerin und Pionierin der feministischen Außenpolitik, hob hervor, dass die UNO mit der Agenda Frauen, Frieden und Sicherheit (WPS) ein entscheidendes Instrument zur Förderung von Gleichstellung, Frieden und Sicherheit geschaffen habe – „Schritt für Schritt, Krise für Krise“.
Aus ihrer Erfahrung als UN-Sonderbeauftragte für sexuelle Gewalt in Konflikten sprach sie über die Bedeutung von Konventionen und Mechanismen, die Frauen schützen und ihnen Beteiligung ermöglichen. Trotz bestehender Defizite lobte sie die Fortschritte der UNO bei der Einbindung von Frauen in Friedensprozesse und politischen Entscheidungen. In der internationalen Politik und im UN-Sicherheitsrat mangelt es jedoch nach wie vor an einer angemessenen Vertretung von Frauen. Wallström machte deutlich, dass nachhaltiger Frieden nur dann möglich ist, wenn Frauen aktiv an Entscheidungsprozessen beteiligt sind: „Die Diskussionen über geschlechtsspezifische Gewalt müssen bei den Überlebenden beginnen und enden. Sie bringen neue Perspektiven und Themen ein – das ist der Kern feministischer Außenpolitik.“ Ihr zentrales Fazit:
„Ohne Feminismus gibt es keinen Frieden für alle.”
Um bestehende Lücken zu schließen, brauche es mehr Vielfalt – über Geschlechter, Regionen und Erfahrungen hinweg – sowie innovative Ansätze, die auf lokaler Ebene ansetzen.
Navigieren zwischen globalen Zielen und lokalen Realitäten
Ein zentrales Thema, das sich wie ein roter Faden durch die Diskussion zog, war die Spannung zwischen globalen Zielsetzungen und lokalen Realitäten – von internationaler Repräsentation und Entscheidungsfindung bis hin zur Vielfalt gelebter Erfahrungen und Perspektiven.
Alexander Kmentt betonte in diesem Zusammenhang die Prioritäten Österreichs im Rahmen seiner Kandidatur für einen nichtständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat: die Stärkung des Multilateralismus, die Förderung internationalen Dialogs und eine engere regionenübergreifende Zusammenarbeit. Daran anschließend stellte sich die grundlegende Frage, wer innerhalb des Sicherheitsrats tatsächlich Macht und Stimme besitzt – ein zentraler Punkt für jede zukünftige Reform der Vereinten Nationen.
Margot Wallström unterstrich, wie wichtig es sei, auch kleineren Staaten die Möglichkeit zu geben, am Verhandlungstisch Platz zu nehmen und aktiv an Entscheidungen mitzuwirken. Ebenso entscheidend sei die Wahl von Führungspersönlichkeiten, die bereit sind, bestehende Machtstrukturen kritisch zu hinterfragen und zu verändern. Darüber hinaus forderte sie mehr Transparenz und Rechenschaftspflicht, insbesondere im Hinblick auf die Verteilung und Verwendung internationaler Ressourcen.
Rosebell Kagumire brachte die Perspektive der Zivilgesellschaft ein und stellte die provokante Frage, wie viel von den internationalen Geldern tatsächlich bei den Menschen vor Ort ankommt – insbesondere bei lokalen Initiativen und Basisorganisationen. Angesichts humanitärer Krisen wie den anhaltenden Konflikten im Sudan oder in Palästina müsse kritisch gefragt werden, wo Prävention stattfindet und wer eigentlich geschützt wird. Es reiche nicht, nur in akuten Krisen zu reagieren – vielmehr brauche es langfristige Investitionen in Infrastruktur und Ressourcen, um nach Konflikten nachhaltigen Frieden zu sichern.
Im Hinblick auf die Agenda Frauen, Frieden und Sicherheit (WPS) plädierte Kagumire für neue, inklusive Strategien, die über symbolische Beteiligung hinausgehen. Das bloße Fehlen von Krieg bedeute nicht automatisch Frieden oder Gleichberechtigung. In vielen afrikanischen Staaten seien Frauenrechte weiterhin eingeschränkt, auch wenn keine offenen Konflikte herrschten. Macht müsse bei den Menschen liegen – nicht über ihnen. Nur so könnten Frauen und marginalisierte Gruppen zu gleichberechtigten Akteur*innen in politischen Entscheidungsprozessen werden.
Pakt für die Zukunft
Die Podiumsdiskussion endete mit einer lebhaften Fragerunde, die zu einer kritischen Reflexion über die Grenzen und die Zukunft der UNO anregte. Dabei wurde insbesondere auf die aktuellen Budgetkürzungen der UN-Organisationen und deren Auswirkungen auf humanitäre und friedensfördernde Missionen hingewiesen. Zudem wurde deutlich, dass Länder des Globalen Südens weiterhin zu wenig Einfluss auf Entscheidungen innerhalb der Vereinten Nationen haben – was erneut die Debatte um das Vetorecht und dessen Reformbedarf befeuerte.
Rosebell Kagumire sprach sich für eine grundlegende Neuordnung der UNO aus. Die Organisation stehe vor großen Herausforderungen und hohen Erwartungen, es fehle jedoch oft an konkreten Maßnahmen, um ungleiche Machtverhältnisse tatsächlich aufzubrechen. Die bestehenden Strukturen seien zu lange als selbstverständlich hingenommen worden, doch immer mehr Stimmen aus Afrika und dem Globalen Süden stellten diese Normalität in Frage und forderten eine gerechtere, inklusivere internationale Ordnung.
In diesem Zusammenhang wurde der „Pakt für die Zukunft“ (Pact for the Future) als zentrales Instrument hervorgehoben, um sinnvolle Veränderungen anzustoßen und den Weg für eine gerechtere globale Zusammenarbeit zu ebnen.
Abschließend betonte Alexander Kmentt: „Es ist leicht zu kritisieren, wenn die Umsetzung fehlt. Doch jede Veränderung beginnt mit einer Vision. Man setzt sich ein Ziel, geht so weit man kann, bewertet neu – und formuliert dann die nächsten Schritte.“
Trotz der aktuellen Krise des Multilateralismus und der wachsenden Distanz einiger Großmächte – etwa der gegenwärtigen US-Regierung zu den Nachhaltigkeitszielen und Gleichstellungsthemen – könne der Pakt für die Zukunft als Fahrplan für Transformation und Erneuerung verstanden werden.
Langfristig, so das Fazit des Panels, brauche es eine Neuverteilung globaler Macht, die lokale Initiativen, Befreiungsbewegungen und Gender-Aktivismen stärker einbindet. Nur durch die gezielte Förderung von Basisorganisationen, gerechter Ressourcenverteilung und echtem Dialog könne die internationale Gemeinschaft dem eigenen Anspruch auf globalen Dialog und Zusammenarbeit gerecht werden.










