Klimajournalismus: “Wir können nicht warten, bis die Auswirkungen noch greifbarer werden!“

Verena Mischitz und Lydia Matzka-Saboi im Gespräch mit Martina Neuwirth (VIDC Global Dialogue)

VIDC Online Magazin Spotlight

Dieses Interview wurde in der Spotlight-Ausgabe Oktober 2023 veröffentlicht. Wenn Sie den vierteljährlich erscheinenden Spotlight, Einladungen und Dokumentationen erhalten möchten, klicken Sie bitte hier.

Interviewpartner*innen

Verena Mischitz ist Journalistin und Moderatorin. Sie arbeitet als freie Wissenschaftsjournalistin u.a. für den Westdeutschen Rundfunk (WDR Quarks) und arte. Für ihre Videos zur Klima- und Biodiversitätskrise wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Seit April 2022 ist sie Sprecherin des Netzwerks Klimajournalismus Österreich.
Lydia Matzka-Saboi hat Politikwissenschaft und Medienkunde in Innsbruck studiert, arbeitete beim „Südwind Magazin“ als Redakteurin, beim WWF Österreich und Global 2000 als Pressesprecherin sowie als freie Journalistin und Fotografin. Seit September 2021 leitet sie bei der Tageszeitung „Heute“ das Klima- und Umweltressort.

Klimatalk mit Lydia Matzka-Saboi, © Sabine Hertel/Helmut Graf/Heute

Der letzte Sommer hat uns gezeigt, dass die Auswirkungen der globalen Klimakrise immer größer werden. In einem Gespräch mit zwei Klimajournalistinnen* hat Martina Neuwirth erfragt, wie Klimajournalismus gestaltet sein muss, um die Bevölkerung in Österreich zu erreichen.

Neuwirth: Frau Mischitz, warum wurde das Netzwerk Klimajournalismus 2020 gegründet und wie hat es sich entwickelt?

Mischitz: Das Netzwerk ist ein Verein von Journalist*innen, ein Versuch, Journalist*innen, die zur Klimakrise arbeiten oder arbeiten wollen, zusammenzubringen. Ich bin seit 2021 dabei und heute die Sprecherin des Netzwerks. Am Anfang war das vor allem ein Austausch zwischen Einzelpersonen, die gemerkt haben, dass es mehr Klimaberichterstattung braucht. Mittlerweile sind wir gut und schnell gewachsen. Wir haben immer wieder Stammtische, wo auch Expert*innen ihre Expertise einbringen und von ihrer Arbeit erzählen können. Dann bieten wir auch Pressebriefings zu bestimmten Anlässen an, zum Beispiel wenn der Bericht des Weltklimarats herauskommt. Und schließlich haben wir vor kurzem den Klimakodex vorgestellt. Das ist eine Leitlinie für eine angemessene Klimaberichterstattung. Unser Ziel ist es, dass möglichst viele Redaktionen diesen Kodex in ihre internen Leitlinien aufnehmen, damit die Klimaberichterstattung einfach besser verankert wird in Österreich. Den Kodex haben bereits 25 Medienhäuser – darunter APA, Wiener Zeitung, Heute – unterschrieben, auch einige regionale Medien sind darunter.

Neuwirth: Frau Matzka-Saboi, was waren Ihre Beweggründe wieder zurück in den Journalismus zu wechseln bzw. für die Tageszeitung „Heute“, dem Klimathema mehr Raum zu geben?

Matzka-Saboi: Im Wesentlichen war’s ein „Stop preaching to the converted“, also das Bedürfnis, die eigene Bubble und Komfortzone zu verlassen. Das Klimathema betrifft alle gesellschaftlichen Bereiche, und der Boulevard ist hier ein ganz besonders wichtiger Hebel. „Heute“ hat knapp 1 Mio. Leser*innen – alle Bevölkerungs- und Bildungsschichten sind hier vertreten, v.a. junge Menschen. Mit ihnen möchte ich in Dialog treten, sie inspirieren. Denn wir brauchen Lösungen für die drängenden Umweltprobleme unserer Zeit. Wir alle sind gefragt: Politik. Wirtschaft. Konsument*innen. Und ja, auch die Medien.

Neuwirth: Welche Klimathemen finden die Leser*innen, Hörer*innen oder Seher*innen Ihrer Erfahrung nach besonders interessant? Und welche Themen sind am sperrigsten?

Mischitz: Grundsätzlich kann man sagen, dass Klimaberichterstattung die Österreicher*innen an sich sehr interessiert. Nach einer Gallup-Umfrage sind das rund 70% der Befragten, aber weniger als 50% fühlen sich ausreichend informiert. Ich persönlich würde sagen, es ist nur schwierig, wenn man es nicht gut erzählt. Natürlich ist es schwerer greifbar, wenn man sagt, das Eis in der Arktis schmilzt. Wenn man aber auf die Zusammenhänge eingeht und erklärt, wie mich das dann in Europa betrifft und was sich durch diese Eisschmelze verändert, dann wird es auch für uns hier interessant. Je greifbarer die Auswirkungen werden, desto einfacher wird es zu erzählen. Wir können aber nicht darauf warten, bis das noch greifbarer wird, sondern wir müssen jetzt schon darüber berichten. Ich würde sagen, wenn man dieses Abstrakte und Ferne ins Konkrete holt, dann kommt das eher an und wird gelesen.

Matzka-Saboi: Ich kann Verena nur zustimmen. Aufgabe von uns Klimajournalist*innen ist es, das Bewusstsein für die Auswirkungen der Erderhitzung in den Medienhäusern und in der Gesellschaft zu stärken. Ich versuche in der Berichterstattung komplexe Themen möglichst einfach und verständlich darzustellen, dabei anschlussfähig zu bleiben. Wenn ich etwa über das viel zu warme Mittelmeer schreibe, dann weise ich darauf hin, dass dies infolge der Klimakrise geschieht. Das wiederhole ich gerne in meinen Artikeln, damit klar ist: Nein, das war nicht immer so, es ist ernst, wir steuern auf eine Klimakatastrophe zu.  Ich denke, die Wahrheit ist den Menschen zumutbar und deswegen zeige ich explizit den Ernst der Lage. Ich versuche aber auch immer, den Leser/die Leserin nicht ratlos zurückzulassen. Die Menschen sollen ja nicht verzweifeln. Daher gebe ich, wenn möglich, Tipps zum Handeln. Ich möchte dabei nicht moralisierend auftreten, denn das kommt nicht gut an. Mein Ziel ist es, möglichst viele Menschen mit dem Klimathema zu erreichen, in einfacher Sprache, damit die Komplexität verstanden und bestmöglich dann auch gehandelt wird.

Neuwirth: Gibt es „Erfolgsrezepte", was den Stil oder die Auswahl der Begriffe und Themen angeht, um möglichst viele zu erreichen?

Matzka-Saboi: Ich entscheide nach journalistischen Kriterien: Was ist eine gute Geschichte? Und ich versuche komplexe Inhalte, wissenschaftliche Studien etc. möglichst einfach und verständlich runterzubrechen. Bilder zur Auflockerung, Grafiken, die Themen anschaulicher machen und der richtige Themenmix sind wichtig. Nicht nur Unerfreuliches bringen, sondern auch Erfolge, das motiviert. Ein Naturschutzerfolg, z.B. die Rettung des albanischen Flusses Vjosa, freut die Leser*innen, das lockert die Seite dann auch auf, wenn daneben etwa über den aktuellen IPCC-Report berichtet wird. Die Bildsprache ist mir dabei ein besonderes Anliegen. Wenn ich über Hitze und Dürre in Europa schreibe, dann kommen bei mir keine Badenden vor, die „ins kühle Nass“ springen, dann zeige ich die Dürre. Bilder haben eine starke emotionale Kraft, sie dürfen nicht verharmlosen, sondern müssen journalistisch sorgfältig ausgewählt die Welt zeigen, wie sie ist.

Mischitz: Es ist immer eine Herausforderung, wissenschaftliche Fakten einfach runterzubrechen. Ich stimme Lydia zu: Je einfacher und anschaulicher ich es mache, desto mehr Leute erreiche ich. Es stellt sich auch die Frage: Welches Medium benutze ich? Ich habe mit Social Media gearbeitet, da erreiche ich eine ganz andere Zielgruppe als im Fernsehen. Und ich glaube ebenfalls, dass man konstruktive Lösungsansätze anbieten muss. Im Moment stecken wir noch in der Katastrophenberichterstattung fest, was ja auch gut ist, weil sie Aufmerksamkeit schafft und die Dringlichkeit betont. Andererseits lässt uns das aber ein bisschen hilflos und ohnmächtig zurück. Das ist gar nicht notwendig, denn wir wissen ja im Prinzip, was wir zu tun haben, welche Maßnahmen ergriffen werden müssen. Aber die werden oft noch nicht mit kommuniziert, und das wird in Zukunft noch viel wichtiger werden. Das heißt nicht, dass man positiven Lösungsjournalismus  betreibt. Nicht alle Lösungen sind positiv, das muss man schon auch kritisch hinterfragen. Dabei darf aber auch nicht das Gefühl bleiben, dass alles eh nicht so schlimm ist. Es ist also ein schmaler Grat zwischen Dringlichkeit betonen und die Situation verharmlosen. Den zu finden und immer wieder zu überprüfen, liegt in der Verantwortung der Journalist*innen.

Neuwirth: Spielt die Situation der Länder des Globalen Südens, insbesondere Afrikas, eine Rolle in der Berichterstattung über die Klimakrise?

Matzka-Saboi: In mein Ressort spielen auch internationale Themen hinein, gerade bei der letzten COP war das der Fall. Mir ist es wichtig, möglichst umfassend zu berichten. Ehrlich gesagt sind entwicklungspolitische Themen (so wichtig sie sind) in österreichischen Medien allgemein unterrepräsentiert.

Mischitz: Die Klimakrise ist kein Phänomen, das sich auf einen Ort beschränken lässt. Sie ist global, und es ist zentral, dass wir über die Ungleichheit reden, weil die Menschen im globalen Süden haben ja nur einen Bruchteil zur Erhitzung beigetragen, spüren die Auswirkungen aber umso mehr. Da ist sicher noch Luft nach oben. Globale Zusammenhänge sind oft schwer verständlich. Umso wichtiger ist es, sie klar und möglichst einfach darzustellen.

Neuwirth: Wie können Organisationen der Zivilgesellschaft, wie etwa das VIDC, Sie in Ihrer Klima-Berichterstattung unterstützen?

Mischitz: Also was man grundsätzlich tun kann, ist Klimaberichterstattung einzufordern, also zu fragen, warum dieses Thema nicht mit der Klimakrise verknüpft wird. In Österreich arbeiten wir auch mit dem Presserat zusammen. Da kann man einen Artikel einreichen, der die Klimakrise stark verharmlost oder leugnet.  Dann beschäftigt sich ein Gremium damit und die Entscheidung wird dann in die einzelnen Redaktionen getragen.

Matzka-Saboi: Gute Geschichten finden ihren Platz in den Medien, ein Österreich-Bezug ist bei entwicklungspolitischen Themen sicher wichtig (21. September 2023).