#7: Life under the Taliban

Ein neuer Krieg gegen die Dummheit

Autorin


S. Sharifi erhielt ihren Abschluss an der Fakultät für Journalismus der Universität Kabul. Sie arbeitete für die Organisation Green House, die sich für Gleichberechtigung einsetzt. Derzeit lebt sie in Kabul und geht ihrer Leidenschaft für den Journalismus weiter nach, wenn auch mit vielen Einschränkungen.

Deutsch von Michael Fanizadeh, VIDC Global Dialogue  

Kuratiert von

Ali Ahmad, Donau-Universität Krems/VIDC und Michael Fanizadeh, VIDC Global Dialogue

Frauen in Kabul 2023 © Aadil Ahmad

Frauen in Kabul 2023 © Aadil Ahmad

Der folgende Artikel wurde von S. Sharifi* im Rahmen unserer Artikelserie „Life under the Taliban“ verfasst. Frauen und Männer aus verschiedenen Teilen des Landes und mit unterschiedlichen Perspektiven und Realitäten erzählen uns ihre Geschichten. Sharifi ist Journalistin und erhielt ihren Abschluss an der Fakultät für Journalismus der Universität Kabul. Als junge Angehörige der Hazara-Community in Afghanistan schloss sich den öffentlichen Protesten nach der Schließung der Mädchenschulen und des Frauenministeriums in Kabul an. Um sich und ihre Familie vor möglichen Vergeltungsmaßnahmen der Taliban zu schützen, hat sie ein Pseudonym gewählt.

Der Fall von Kabul war ein Wendepunkt für mich

Afghanistan hat eine bewegte Vergangenheit und ist seit Jahrzehnten ein tragischer Ort. Es ist vom Fortschritt und von der Zivilisation abgeschnitten, und seine Bewohner*innen befinden sich im Krieg mit denjenigen, die nicht mit der Mehrheitsmeinung übereinstimmen. Ich bin in einem Land aufgewachsen, in dem es immer Gewalt, Tod und Verwüstung gegeben hat. Auch wenn wir keine Rolle beim Untergang unseres Landes gespielt haben, sind wir trotzdem die Hauptopfer dieser Tragödie. Ich habe 20 Jahre meines Lebens damit verbracht, erfolgreich und glücklich zu sein, aber ignorante Kräfte haben mein Schicksal grausam bestimmt. Der Fall von Kabul war ein Wendepunkt in meinem Leben, und alles wurde dunkel und hoffnungslos. Nachdem der Präsident geflohen ist und die Taliban die Macht übernommen haben, begann ein neuer Krieg der Ignoranz. Dieses verarmte Land, das von der Geschichte und der Zivilisation abgeschnitten zu sein scheint, hat immer wieder für Schlagzeilen gesorgt, und seine Eigenheiten beunruhigen die Welt.
Sobald die Taliban die Kontrolle über Afghanistan übernahmen, wurden die Mädchenschulen geschlossen, und das Frauenministerium wurde durch das Ministerium für die Verbreitung von Tugend und die Verhütung von Lastern ersetzt. Um zu verhindern, dass dieses Ministerium für Frauenangelegenheiten zum Taliban-Ministerium wird, schloss ich mich den weiblichen Mitarbeiterinnen des Ministeriums an, die vor dem Hauptsitz des Ministeriums in Kabul protestierten und die internationale Gemeinschaft um Hilfe baten. Die Taliban beendeten den Protest jedoch gewaltsam und vertrieben die Demonstrantinnen.

Das Wohnheim der Universität Kabul, in dem ich untergebracht war, glich aufgrund der täglichen Beschränkungen ab jetzt eher einem Gefängnis, obwohl die Universitäten des Landes bis Dezember letzten Jahres noch für Studentinnen zugänglich waren. Im Wohnheim waren schiitische Zeremonien nicht mehr erlaubt, und Mitglieder der Hazara-Community wurden regelmäßig verspottet und beleidigt. Während dieser Konflikte nahmen die Millennials heimlich an der schiitischen Ashura-Zeremonie teil, aber die Taliban verspotteten ihren Glauben und ihre Ansichten. Die Hazaras wurden als schmutzig bezeichnet, und ihre Religion wurde für Blasphemie, Korruption und Kämpfe verantwortlich gemacht. Sechs Hazara-Mädchen wurden festgenommen, wobei es mir gelang, nicht verhaftet zu werden. Die De-facto-Kommandodelegation informierten die Internatsleitung und flößten den Schüler*innen Angst ein.  
In der Vergangenheit habe ich den Unterricht besucht, bin zur Universität gegangen und habe von morgens bis abends gearbeitet. Jetzt kann ich froh sein, wenn ich zweimal in der Woche das Haus verlassen kann. Das Leben unter dem Taliban-Gesetz ist hart, und die Vorenthaltung der Grundrechte hat es noch schlimmer gemacht. Es ist wichtig, dass die internationale Gemeinschaft Maßnahmen ergreift und nicht zulässt, dass die Taliban die afghanischen Frauen weiterhin unterdrücken und ihre Zukunft gefährden.

Afghanische Frauen kämpfen trotz Repressionen und Drohungen der Taliban für ihre Rechte

Afghanistan ist traditionell ein Land, in dem die Männer die Macht innehaben und die Entscheidungen treffen. Sie waren stets an vorderster Front und haben die turbulente Geschichte dieses Landes maßgeblich beeinflusst. Frauen hingegen wurden Rechte vorenthalten, sie wurden und werden als Menschen zweiter Klasse behandelt und ihre Stimme wird unterdrückt. Dennoch haben die afghanischen Frauen den Kampf um ihre Rechte nie aufgegeben. Seit der Machtübernahme durch die Taliban am 15. August 2021 haben Frauen und Mädchen aktiv Widerstand geleistet und für ihre Rechte gekämpft. Trotz aller Drohungen und Hindernisse haben sie ihr Streben nach Gleichheit und Anerkennung als vollwertige und gleichberechtigte Menschen nicht aufgegeben. Als afghanisches Hazara-Mädchen, das zwei Jahrzehnte lang gelebt und ein Verständnis für das Leben entwickelt hat, fühle ich mich gelegentlich schuldig und fühle mich angegriffen, weil ich einer Gruppe, der es an Weisheit und Würde fehlt, erlaube, mich zu demütigen. Indem ich in meiner Rolle aufrecht stehe, habe ich der Welt jedoch auch gezeigt, dass ich eine starke Fürsprecherin für die Rechte afghanischer Mädchen bin.
Ich habe zusammen mit einer Gruppe protestierender Mädchen für Menschlichkeit gekämpft und unsere Rechte eingefordert. Wir haben mit der Tradition der Unfreiheit gebrochen, indem wir einen Kampf begonnen haben, und wir haben von Straße zu Straße nach Gerechtigkeit gerufen. Zu unserer Überraschung wurden wir dafür beschimpft, körperlich misshandelt und gedemütigt. Wir, die afghanischen Frauen, widmen unser Leben diesem Kampf gegen die Unterdrückungsherrschaft der Taliban. Trotz der damit verbundenen Gefahren nahmen die Frauen mutig an einer Vielzahl von Demonstrationen teil und widersetzten sich den strengen Beschränkungen, die ihnen auferlegt wurden. Die afghanischen Frauen erhielten seit mehr als 20 Jahren eine Ausbildung, bevor sie, wenn auch mühsam, Positionen und Status erlangten.
 
Die afghanischen Frauen haben Geschichte geschrieben, als sie sich zum ersten Mal gegen Diskriminierung, Missbrauch und Dogmen zur Wehr setzten. Sie organisierten ihren Widerstand, obwohl sie sich der Peitsche des Regimes gegenübersahen, trotzdem haben sie weiter protestiert. Die Hartnäckigkeit und der Widerstand der Frauen verletzten die Macht der Taliban, so dass diese noch härter gegen sie vorgingen. Die Taliban gingen dazu über, Menschen zu verhaften, zu foltern und zu töten, um die Macht und Kontrolle über sie zu behalten. Als Folge dieser Brutalität verloren die Frauen den Mut, weiterzukämpfen, aber sie gaben nicht auf. Obwohl die Schreckensherrschaft der Taliban ihnen die Freiheit nahm, konnten sie ihren Geist der Hoffnung und Entschlossenheit nicht auslöschen.

Das Leben unter der Taliban-Herrschaft ist seit fast zwei Jahren miserabel. Die Strenge der De-facto-Regierung hat das Leben für gebildete Frauen und die nächste Generation, insbesondere Mädchen, schwierig gemacht. Das Lebensglück der Frauen ist in großer Gefahr. Wenn dieses Verhalten anhält, wird es nicht nur die Entwicklung der Nation behindern, sondern sie auch in eine Zeit der völligen Unwissenheit zurückversetzen. Die Lage der Frauen in Afghanistan ist schrecklich, wobei sie das Gefühl haben, von der Welt vergessen worden zu sein. Ihr Recht auf Leben, Freiheit, Bildung und Arbeit ist ihnen genommen worden. In Afghanistan leiden die Frauen unter Vorurteilen, Überlegenheitsdenken, Diskriminierung und Religion. Seit die Taliban die Macht übernommen haben, arbeiten sie daran, den Beitrag der Frauen zur Gesellschaft zu minimieren und zu eliminieren.

Die Brutalität der Taliban überleben

Ich erinnere mich, dass ich an einem Protestmarsch teilgenommen habe, der vom Verteidigungsministerium in Kabul zum Präsidentenpalast führte. Die Peitschenhiebe der Taliban, die mich während des Protests trafen, schmerzen mich noch heute. Ich spürte am ganzen Körper starke Schmerzen, die die Peitsche verursacht hat. Ich bereitete mich mental und emotional auf das Leiden vor, welches folgen würde, sobald ich gegen diese extremistische Gruppe antreten würde. Ich war mir bewusst, dass die Taliban nur in der Lage waren, Krieg zu führen und Terror zu schüren, und dass sie Angst vor starken Frauen haben. Sie fürchteten mich und meine Freundinnen. Die Gruppe „Kämpfende Frauen Afghanistans - Zanaan Mubarez Afghanistan“ organisierte am 30. September 2021 einen spontanen Protest gegen den Ausschluss von Mädchen und Frauen von der Bildung. Die Demonstration begann an der Rukhshane-Schule, und die Taliban blockierten die Straße und misshandelten uns. Später beendeten sie den gesamten Marsch abrupt und gewaltsam und verursachten damit Chaos und Unruhen. 

Ich habe nichts mit den Taliban gemein. Meine Religion, meine Gedanken und mein Wesen unterscheiden sich von A bis Z von denen der Taliban. In meiner Religion gelten Bildung und Unterricht als obligatorisch für Männer und Frauen; diese Kleriker jedoch lehnen die Bildung von Frauen und Mädchen mit ihrer barbarischen Ideologie ab. Meine Andersartigkeit verursacht einen brennenden Schmerz in meinen Knochen, und der Schmerz über all diese Forderungen und Einschränkungen veranlasste mich, auf den Straßen von Kabul meine Stimme zu erheben. An dem Tag, an dem die Taliban mich aufgrund der Farbe meiner Kleidung in der Menschenmenge unterschieden, verlor mein Leben seine Farbe. In dem Moment, als sie mir sagten, ich dürfe kein Weiß mehr tragen, veränderte sich meine Identität, und ich verlor die Hoffnung. Ich werde mich weiterhin für meine Rechte und die Rechte aller afghanischen Frauen einsetzen. Ich bin immer noch stark und groß, aber ich weiß nicht, wie lange das so bleiben wird.

* Die Autorin verwendet aus Sicherheitsgründen ein Pseudonym.